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  Fruchtbare Augenblicke

Der niederlãndische Künstler Wim Bosch ist Maler. Obwohl nicht ein einziges Bild in der Ausstellung nach Malerei aussieht, sondern alles durchweg aus digital bearbeiteter, collagierter Fotografie besteht, ist die Erwahnung, dass er Maler ist, insofern wichtig, weil sich dies aus der konsequenten Arbeitsweise erschließt:
Er beginnt mit der leeren, weißen Flãche und komponiert seine einzelnen fotografischen Fragmente Stück für Stück zu einem Ganzen. Bosch arbeitet überdies seit 20 Jahren an seinem Themenkanon: Interieur, Innen und Außen sowie privat und öffentlich. Waren seine Malereien in den 1990er Jahren aus Acryl, Öl und Fotofragmenten auf Leinwand und Sperrholz und in einer Art fotorealistischer Manier gemalt, so ist es nur schlüssig, dass er sich seit 2001 dem Medium der Fotografie ganz und ausschließlich stellt und alle Facetten der digitalen Eingriffsmöglichkeiten im Bild nutzt.

Die Bilderwelten von Bosch entpuppen sich als komplexe, vielschichtige und filmisch anmutende Werke, die Zeit zum Betrachten benötigen. Die Schichten, Ebenen, Reflexionen und Spiegelungen innerhalb des Bildraumes erzeugen Geschichten. Einem Filmstill gleich, ist nur scheinbar ein kurzer Moment eines sich fortlaufend bewegenden Zeitgefüges sichtbar. Jedoch schafft es der Künstler, und hier liegt die Brisanz, seinen Bildern etwas zu geben, was Gotthold Ephraim Lessing den "prãgnanten Moment oder fruchtbaren Augenblick" nannte. Dieser impliziert keinen abgeschlossenen oder beendeten Vorgang, der alles aus sich heraus erklärt und solitär aus der Welt herausgehoben werden darf. Die Bildelemente tragen vielmehr immer sowohl ihr eigenes Vorher als auch ihr Nachher in sich und verschließen sich nicht unseren eigenen imaginären Zeitachsen. Durch die Bildsemantik wird der Betrachter zum Weiterspinnen der Bildgeschichte veranlasst, nicht aber durch Mit- und Nachvollzug des tatsächlich Geschehenen, sondern durch die produktive Beteiligung der eigenen Einbildungskraft. Somit geben die Arbeiten zu bedenken, dass die vermeintliche Ruhe gleich vorbei sein wird und sich der Ort, der Raum und die Situation gleich wieder verändert haben werden. Es ist nicht die Ruhe allein, die den Betrachter anzieht, es ist auch der Verweis darauf, dass sich die Gegebenheiten schon in einem völlig anderen Aggregatzustand befunden haben oder gleich befinden können. Die Fotowerke sind Inszenierungen, die den Betrachter nicht nur zum Beobachter, sondern gleichzeitig auch zum Entdecker werden lassen. Immer taucht die Motivik eines etwas spießigen, bürgerlichen Umfelds auf, Szenen innerhalb von Wohnungen oder Blicke aus Fenstern, durch Scheiben auf Garten- oder Architekturfragmente. Dabei spielen in den neuesten Arbeiten Fensterrahmen eine entscheidende Rolle: Sie sind so etwas wie die architektonische und kompositorische Struktur, aber gleichzeitig auch Täuschung, denn der Künstler stellt uns spielerisch die Frage: Was ist Innen und was ist Außen? Und wir können es nicht immer beantworten.
Zimmer-, Vorgartenpflanzen und Ranken, Tapeten mit floralen Mustern, die Reflexion einer Glühbirne, von Möbeln, eines alten Fernsehers oder einer Stehlampe sind Bestandteile seines Repertoires. Auch finden wir Personen in Momenten des Privat-Seins oder in Interaktionen, vermeintlich geschützt und unbeobachtet im Inneren der eigenen Wohnung. Wir können aber die Vorgänge nicht lesen und entschlüsseln, wir müssen sie uns erdenken.
Wim Bosch definiert seine Inhalte wie auch die Fotografie selbst als offen, fächert Perspektiven auf und erweitert dadurch immer wieder die Spielräume des Betrachters.

Claus Friede, Hamburg 2009